Das absolute Hammerargument der Befürworter der B74n ist das Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) von 9,2. Bei zur Zeit angesetzten Kosten von 28 Mio. Euro kommt man auf einen Nutzen von mehr als 250
Mio. Euro (250.000.000 Euro = 1/4 Milliarde Euro!!). Was für eine Zahl. Da müssen die Gegner der B74n doch endlich verstummen. Der Slogan des Landkreises „Natürlich in die Zukunft" ist sofort
vergessen; Kiebitz und Rotschenkel dürfen dann auch nicht im Wege stehen. Man ist sogar bereit, gemeinsam an einem Strang zu
ziehen, um Storch & Co den Garaus zu machen.
Im Bundesverkehrswegeplan 2003 wurden die Kosten noch mit 17,9 Mio. Euro angegeben; mittlerweile ist man bei 28 Mio. Euro angelangt. Dies ist eine Kostensteigerung von
10 Mio. Euro und entspricht einer jährlichen Preissteigerung von 4,5 %. Mit Inflationsanpassung kann man dies nicht mehr erklären; die Zentralbänker versuchen zurzeit mühsam die Inflation auf 1,0
% hochzudrücken. Wurden da etwa in der Vergangenheit die Kosten falsch berechnet? Dies soll bei Bauprojekten angeblich schon mal vorkommen. Bei der Bestimmung der Kosten der B74n ist auch zu
berücksichtigen, dass zusätzliche Kosten für den Ankauf von Ausgleichsflächen und Vermeidungsmaßnahmen für das Natura2000 Gebiet anfallen werden. Selbstverständlich müssen langfristig auch noch
zusätzliche Kosten für den Erhalt der zusätzlichen 4,6 km Straße berücksichtigt werden. Man muss kein Bauingenieur sein, um zu erkennen, dass der Bau der B74n technisch aufwendig ist. Der Boden
ist nicht tragfähig, mehrere Brücken müssen gebaut und Hochspannungsleitungen erhöht werden. Niedersachsen hat mehr als 100 Ortsumgehungen auf der aktuellen Projektliste für
den Bundesverkehrswegeplan 2015 stehen. Der Durchschnitt der Kosten pro Kilometer Straße für diese Projekte liegt bei 4.2 Mio. Euro; bei der B74n liegt man bei stolzen 6,1 Mio. Euro pro
Kilometer, also fast 50 % über dem Durchschnitt. Damit liegt die B74n zwar nicht auf Platz 1 aller niedersächsischen Projekte, aber auf Platz 13 von 115 Projekten und damit deutlich in den
vorderen Rängen. Trotzdem soll die B74n ein solch hohes Nutzen-Kosten-Verhältnis haben? Etwas salopp formuliert läuft es auf die Frage hinaus was hat die was andere nicht haben?
Nichts! Wie bei den meisten Ortsumgehungen werden Verkehrsaspekte als Nutzen der Ortsumgehung B74n genannt. Vorteile für die Verkehrsteilnehmer ergeben sich aus einer etwas kürzeren
Wegstrecke und Zeiteinsparung. Wie aber kann dieser Nutzen bewertet werden? Mit Google Maps lässt sich ausmessen, dass sich eine Fahrt von der Einmündung Ritterhuder Straße (K5) in die B74 zur
Anschlussstelle Bremen-Industriehäfen von derzeit 10,8 km (Route B74 bis Burglesum, A27) bzw. 9,1 km (über die L151 in Ritterhude) auf 8,6 km verkürzen wird. Für eine Fahrt von Osterholz
Amtsgericht bis zur Anschlussstelle Bremen-Industriehäfen verkürzt sich die Strecke von derzeit 13.6 km über die K8/K9 auf 11,5 km über die B74n. Mit einer Verteilung des Verkehrs von 25%, 50%,
25 % auf die drei bestehenden Routen kommt man auf eine mittlere Streckenverkürzung von 1,3 - 1,5 km. Selbst für eine Fahrt von Osterholz-Scharmbeck Zentrum in die Bremer Innenstadt zur
Martinistraße beträgt der Vorteil weniger als 7 %. Für Fahrten nach Oldenburg verkürzt sich die Strecke um weniger als 2 %. Einsparungen beim Kraftstoffverbrauch in dieser Größenordnung lassen
sich auch durch eine sparsame Fahrweise und geeignete Wahl des Fahrzeugs realisieren. Andersherum ausgedrückt sind die durch die B74n möglichen Einsparungen beim Kraftstoffverbrauch durch eine
verschwenderische Fahrweise und ungünstige Wahl des Fahrzeugs schnell wieder zunichte gemacht.
Eine kürzere Fahrzeit ergibt sich auch aus der Vermeidung von Kreuzungen, Unterbrechungen an Ampeln und dem Stillstand am Bahnübergang in Ritterhude an der L151. Aber
spätestens bei der Ampelanlage Wümmebrücke, Nordseite - vermutlich aber auch schon bei der Einmündung der B74n in die K43 - ist die freie Fahrt dann beendet. "Zeit ist Geld", dieser Satz gilt
selbstverständlich auch in der Verkehrsplanung. Um von Osterholz-Scharmbeck nach Bremen zu kommen, ist man fast immer bereit, etwas zu bezahlen, um die Strecke nicht zu Fuß gehen zu müssen.
Ebenso ist man bereit für die Nutzung von Fährverbindungen über die Weser zu bezahlen, wenn die nächste Brücke oder der nächste Tunnel weit weg sind. Aber Hand aufs Herz, wer wäre bereit für die
Nutzung der B74n zu zahlen, falls diese gebührenpflichtig wäre? Allenfalls gewerbliche Fahrten, bei denen die Fahrzeit minutengenau abgerechnet wird, würden dann diese Strecke nutzen. Deshalb
wird sich auch trotz eines hohen Nutzen-Kosten-Verhältnisses kein privater Betreiber bzw. Investor für die B74n finden lassen. Offensichtlich gibt es sehr unterschiedliche Definitionen für den
Nutzen einer Straße! Bei einer vollständigen Analyse zum Nutzen der neuen Ortsumgehung muss selbstverständlich auch berücksichtigt werden, dass viele Geschäfte entlang der B74 bzw. L151 vom
Durchgangsverkehr profitieren, unter Umständen eventuell davon abhängig sind.
Da die Bewertung des Nutzens einer Straße ein komplexes Thema ist, lohnt es sich nachzuschauen, wie Experten der Wirtschaft im Elbe-Weser-Dreieck die B74n bewerten. Die IHK Stade hat 2013 unter
dem Motto "Leistungsfähigkeit erhöhen und Standortqualität sichern" ein eigenes Verkehrskonzept zum Bundesverkehrswegeplan für die Region entwickelt. Dabei erfolgte auch eine
Priorisierung der geforderten Verkehrsinfrastrukturprojekte. Die B74n wird von der IHK Stade unterstützt, bekommt aber gerade mal 11 von 25 Punkten. Die beste Einzelbewertung bekommt die B74n in
der Kategorie "Entlastungswirkung für das vorhandene Verkehrsnetz", aber auch dort nur 3 von 5 möglichen Punkten. Einen besonders hohen Nutzen, zumindest für die Wirtschaft in der Region, kann
man daraus nicht ableiten; dass Vorhaben Ortsumgehung B74n befindet sich auch nur in der unteren Hälfte der Prioritätenliste. Eine allenfalls mittelmäßige Bewertung durch die IHK Stade und
überdurchschnittlich hohe Kosten sind aber nicht im Einklang mit einem besonders hohen Nutzen-Kosten-Verhältnis. Anscheinend ist das Nutzen-Kosten-Verhältnis von 9,2 noch weniger belastbar als
der Untergrund auf dem die Straße gebaut werden soll.